Wenn Gott mich packt, mich weckt, mich durchschüttelt - dann bin ich be-geist-ert. Diese dynamische Energie ist den Christen so wichtig, dass sie für diese Energie eine eigene Person schufen. Und zwar eine weibliche - die "Ruach". Was für ein Geschenk das ist, entdecken wir heute wieder neu.
Wie kann man sich Gott eigentlich vorstellen?
Irgendwie brauchen wir Menschen Bilder und Symbole, um zu zeigen, wie wir Gott erleben.
Gott ist wie Vater, wie Mutter, wie ein guter Freund, wie eine Freundin, wie die Sonne, wie Wärme und Licht …
Wenn Menschen von Gott sprechen, brauchen sie oft das Bild vom "Heiligen Geist".
Aber was ist das eigentlich?
Und warum sprechen wir hier zusätzlich noch von „der ruach“?
„Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weisst aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“
Die erste Hürde besteht schon mal darin, dass man den Geist nicht definieren kann.
Man kann ihn weder sehen noch mit den Händen greifen. Festhalten schon grad gar nicht.
Genau dieses nicht-verfügbar-sein macht den „Heiligen Geist“ aus.
Im Alten Testament heisst "Geist" „Ruach“ und ist grammatikalisch weiblich.
Die Ruach hat etwas Schillerndes an sich und im Deutschen eine grosse Bandbreite an Bedeutungen:
Hauch, Atem, Luft, Wind, Wehen, Wutschnauben, aber auch Geist, Seele, Energie, Leidenschaft, göttliche Eingebung.
Die Ruach bezeichnet extrem viele verschiedene Dinge.
Das Wort ist sogar so vielseitig, dass es manchmal sogar als männliches Wort verwendet wird.
Was steckt dahinter, wenn in der Bibel von der ruach geredet wird?
Wehender Wind im Wiesengras
Das Wort „Ruach“ hat in erster Linie etwas zu tun mit Luft, die sich bewegt und die man „hört“.
Sie steht für den Wind, und den pfeifenden Sturm, aber auch für die sanfte Brise, die in der Hitze, Abkühlung bringt.
Dieser Wind kommt oft von Gott selber. Nach der Sintflut zum Beispiel lässt Gott mit diesem Wind das Land wieder trocken und bewohnbar werden.
Die ruach kann aber beides sein: angenehm und bedrohlich.
Sturm auf dem Zugersee
Gottes Geist ist definitiv nichts für Prinzessinnen auf der Erbse oder für Ordnungsfanatiker, bei denen alles immer am gleichen Platz sein muss!
Die Ruach ist alles andere als harmlos, sondern kann alles ziemlich heftig durcheinander wirbeln.
In der berühmten Geschichte, in der die Israeliten mitten durchs Rote Meer ziehen, ist es die Ruach, die das Wasser in Bewegung versetzt:
„Du, Gott, hast gewaltige Kraft; du, Gott, zerreißt deine Feinde. … Dein wütendes Schnauben(„Ruach“) ließ die Wasser steigen; es standen aufrecht wie Dämme die wabernden Fluten.“
Der Geist Gottes ist also ein Orkan, den man nicht bändigen kann. Die einen zerreisst die ruach, andere erfüllt sie mit Power.
…„und jedem stockte der Atem“
Neben dem Wind steht „Ruach“ steht auch für den Atem eines Lebewesens; nicht für den normalen Atem, sondern wenn jemand keucht, nach Luft schnappt, ausser Atem ist, oder nach einer Krise aufatmet.
Ein spezielles Beispiel ist dafür in der Bibel das Keuchen und heftige Atmen bei der Geburt: Bei dem Propheten Jeremia sind es Tiere, Kamelstuten bzw. Eselinnen, die bei der Geburt keuchen und nach Luft (ruach) schnappen. Und bei Jesaja heisst es sogar von Gott selbst:
"Wie eine Gebärende will ich nun schreien, ich schnaube und schnaufe.“(Jes 42,14)
Wichtig ist, dass „Ruach“ nicht der Atem oder der Wind selbst ist, sondern immer die Energie, die darin steckt.
Sie steht für die Kraft, die im Wind spürbar ist.
Es geht immer um Bewegung.
Die Ruach ist selbst bewegt und setzt andere und anderes in Bewegung: Niemals ist Gottes Geist starr oder unbeweglich.
Für Menschen damals (wie heute) war/ist das Atmen eines Menschen sehr eng verbunden mit dem Leben.
Daraus wurde eine ganz allgemeine Bedeutung: ruach bezeichnet nämlich die pure Lebenskraft.
Gott gibt diese Lebenskraft und nimmt sie auch wieder weg:
„Wenn du (Gott) den Lebenshauch (ruach) zurücknimmst, kommen sie um und werden zu Staub. Schickst du aufs Neue deinen Atem(ruach), so entsteht wieder Leben. Du erneuerst das Gesicht der Erde“(Psalm 104).
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist (ruach) flatterte über dem Wasser“Gen 1,1-2.
Sie ist von Anfang an da! Die geballte Kraft Gottes ist da, bevor irgendetwas auf der Erde geschaffen wird.
Das Flattern zeigt: Die Menschen stellen sich die Ruach mit Flügeln vor.
Und wichtiger noch: die ruach ist immer in Bewegung, bereit, anderes in Bewegung zu bringen.
Sie ist pure vibrierende Energie.
Sie bringt das tiefe Wasser unter sich in Bewegung und daraus entsteht die Welt.
Eine krasse Vision hat der Prophet Ezechiel, und die Ruach kommt darin in mehreren Bedeutungen vor.
Ezechiel sieht auf einer Ebene lauter ausgetrocknete Knochen liegen.
Zu ihnen soll er reden und sagen, dass Gottes Geist/Kraft/Energie (ruach) sie lebendig werden lässt.
Ezechiel hört ein Rauschen (Sturm) und sieht, wie die Knochen zusammenrücken und zu menschlichen Körpern werden.
Ezechiel ruft die Ruach aus allen Windrichtungen herbei, damit sie den noch toten Körpern Lebensatem einhaucht und sie lebendig werden lässt.
Für Gott ist also nichts unmöglich.
Die Ruach kann sogar absolut Totes wieder lebendig machen.
Als Jesus lebte, wurde Griechisch die Weltsprache wie heute Englisch. Die Bibel wird griechisch geschrieben, aus „Ruach“ wird „pneuma“.
Pneuma aber bedeutet nicht genau dasselbe wie „Ruach“.
Pneuma, der Geist Gottes ist zwar immer noch Wind und Sturm, er „weht, wo er will“ und ist unberechenbar.
Der Geist Gottes wird immer noch mit Geburt in Verbindung gebracht:
„Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“(Joh 3,8)
Auch die Vorstellung von der Ruach mit Flügeln ist im Neuen Testament zu finden, wenn bei der Taufe Jesu die der Geist/die Ruach Gottes in Form einer Taube auf Jesus herabkommt (Mk 1,10).
Neu ist aber, dass im Neuen Testament Körper und Geist nicht mehr eine Einheit sind. Körper und Geist werden einander gegenübergestellt.
„Was aus Fleisch geboren ist, ist Fleisch; und was aus der Geistkraft geboren ist, ist Geistkraft.“(Joh 3,6)
Vorher war eine solche Trennung von Körper und Geist absolut unvorstellbar.
Wenn der Engel Gabriel zu Maria sagt:
„Du wirst ein Kind empfangen… Der heilige Geist wird auf dich herabkommen.“(Lk 1,35), dann ist Maria nicht mit dem Heiligen Geist „fremd gegangen“. Sondern es bedeutet, dass die ungeheure Energie Gottes schon vor der Geburt im Leben Jesu da ist.
Die Initiative und die Idee für Jesus kommen von Gott.
Gottes Geist wirkt in ihm vor der Geburt bis über seinen Tod hinaus. (siehe "Jesus – Jungfrauengeburt")
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Dabei wird im Gottesdienst die Erzählung vorgelesen, wie die Freunde Jesu den Geist Gottes geschenkt bekommen: Sie hatten sich aus Angst in einem Haus eingeschlossen.
Plötzlich hörten sie ein Brausen wie von einem Sturm. Feuerzungen liessen sich auf ihnen nieder. Die Freunde und Freundinnen Jesu bekamen eine ungeheure Kraft und Mut; den Mut, den es braucht, um aus dem Haus und aus sich herauszugehen.
Als sie draussen den Leuten von Jesus erzählten, wurden sie auch verstanden: „Jeder hörte die Versammelten, die Apostel und die anderen, in seiner eigenen Sprache reden.“
Spannend ist, dass der Geist Gottes hier mit dem Bild von Feuer bzw. den Flammenzungen verknüpft wird.
Das ist absolut neu.
Die Worte, die für den Heiligen Geist verwendet werden, verändern sich mit der Zeit und der sich verändernden "Leitkultur": erst von der (hebräischen, weiblichen) ruach zum (grieschischen, sächlichen) pneuma; 200 Jahre später wurde Lateinisch Weltsprache, das Wort „Geist“ mit dem (männlichen) „spiritus“ übersetzt.
Und der Heilige Geist wird im Lauf der Geschichte neben Gott und Jesus zu einer Person der göttlichen Dreifaltigkeit (Trinität).
Der Geist wird meistens als Taube dargestellt (Die Taube ist übrigens bis ins späte Mittelalter das Tier der Liebe und der Erotik).
Und heute?
Mit den Übersetzungen veränderten sich auch die Bedeutungen des Wortes „Geist“.
Heute schwingen kaum noch das Atmen, die Flügel, die Geburtswehen mit, wenn man vom Geist Gottes spricht.
Mit Geist meinen die Meisten heute die rationalen Fähigkeiten eines Menschen, nicht seine Lebensenergie.
Mit „Geist Gottes“ assoziiert man am ehesten noch das Brausen eines Sturms, Begeisterung und Inspiration.
Der Wind und das Keuchen sind die Möglichkeit, wo Gottes Energie ganz konkret erfahrbar wird… wenn der Wind durchs Haar fährt, wenn du keuchend auf dem Gipfel eines Bergs stehst…
Dann werden Gottes Kraft in der Welt und deine Lebendigkeit spürbar.
Und auch wenn man völlig verschwitzt und ausser Atem von der Tanzfläche geht, kann man sich noch an der vibrierenden Energie freuen.
Und wenn’s im Leben einen so richtig durcheinander wirbelt, wenn man „stürmische Zeiten“ durchmacht, kann der Blick auf die ruach vielleicht helfen, nicht alles gleich schwarz zu sehen, sondern als Chance, die Neues hervorbringt.
Der Blick zurück zu den Ursprüngen erweitert das Blickfeld und das Bild von Gott.
Die Ruach erinnert daran, dass Gott und damit das Leben absolut unberechenbar sind.
Jutta Achhammer Moosbrugger